Als 2016 die Entscheidung für ein Theater auf dem Alten Postgelände fiel, stellten wir uns häufig die Frage nach dem Besonderen, dem Grund, dem Warum.

Strausberg hatte bis dato kein Theater und für uns war klar: gute Orte brauchen ein Theater.

Ein Theater, welches am Ort ist, mit ihm agiert, sich mit ihm auseinander setzt.
Und dieses Theater konnte nun hier entstehen, in einer leeren Betonhalle, dem ehemaligen Wasserwerk einer alten Bunkeranlage mitten im Wald.

Ein reizvoller Ort und ein reizvoller Raum, der uns von Anfang an vor die Herausforderung stellte, ihn in seiner Nicht- Theaterhaftigkeit anzunehmen und kennenzulernen, wenn wir ihn als Theater bespielen wollen.

Die Suche nach dem Besonderen, dem Grund und dem Warum

prägte die Entwicklung der Spielstätte in ihren ersten Jahren sowohl in ihren Stückentwicklungen, als auch im Umgang mit dem Raum an sich.

So bespielten wir 2017 das erste Mal die leere Halle. Für die Stückentwicklung Pikeslust erforschten wir das Gelände gemeinsam mit Experten der Natur- und Kulturwissenschaft und Brandenburger*innen.
Die Ergebnisse flossen ein in das Theaterstück.

Das Setting, naheliegend, ein Bildhaueratelier. Die zu bearbeitenden Baumabschnitte wurden live mit dem Traktor in die Halle gefahren, unter den Zuschauerbänken lagen Sägespäne.

Auch in den kommenden Jahren sollte sich die hier erprobte Arbeitsweise aus gemeinsamer Recherche von Theaterschaffenden, Bürger*innen und Expert*innen fortsetzen und sich zu einem Zweig des Theaters entwickeln: unsere Recherchestücke. Inszeniert von dem jungen Regisseur Rico Wagner.

2018 bekam das Theater seinen Namen: zu Melanie Seeland kam Inés Burdow in das Leitungsteam und brachte den Namen gleich mit. die Andere Welt Bühne.
Die zwei Schauspielerinnen entwickelten das Theater seitdem gemeinsam weiter. Die Anzahl der Inszenierungen verdoppelte sich, ergänzt durch Lesungen und kleine Konzerte.

Mit Das Ziel ist im Weg eröffnete die Andere Welt Bühne diese Spielzeit mit einem eigens für und in diesem Theater erfundenen Genre: dem Diskurs- Schwank. Verfasst und inszeniert von Frau Pike, Schirmherrin des Alten Postgeländes, auf der Bühne die zwei Schauspielerinnen, das Bühnenbild: ein Kiefernwald aus zu dicht stehenden Kiefern vom Bunkerberg. Davor die ersten von dem Holzatelier auf dem Gelände für das Theater maßgetischlerten Bühnenpodeste.

Darauf folgte die Theatercollage Heimatmaschine. Zu den Schauspielerinnen und dem Regisseur Rico Wagner kamen der Musiker Daniel Dorsch, Maurine Oyuga, Tänzerin aus Kenia, Ahamat Gadji Azina, Philosoph aus dem Tschad und Jonas Albani für den Ton hinzu.

Die Kiefern trockneten über die Spielzeit und als wir unseren Wald schweren Herzens aus dem Theater trugen, bot sich für die folgende Spielzeit der Wunsch, die Halle auf allen Seiten zu bespielen.

2019 tobte sich das junge Team aus, in dem jungen Theater. Das Recherchestück diesmal: Horror Vacui ? Zum Thema 30 Jahre Mauerfall.

Dazu eine Drehbühne komplett aus Holz.

Mit ihr bekam die Andere Welt Bühne ein erstes wichtiges stilprägendes Element. Das Holz fand einen neuartigen Einzug in die Betonhalle, versprühte seinen wohligen Geruch und manifestierte erstmals eine Bühne. Nicht nur beweglich drehend, auch im Raum verschiebbar wurde die Drehbühne unterschiedlich in der Halle positioniert und bespielt.

Mit der Inszenierung des Diskurs-Schwanks Wie, wenn nicht warum ? kam Jens Bluhm als Regisseur in die Compagnie.

In Wolfram Scheller und seinem Produktionskollektiv theater.land fand die Andere Welt Bühne einen hervorragenden Kooperationspartner. Die Inszenierung des Stückes Die Überflüssigen erstmals mit fünfköpfigem Ensemble und mit Pause.

2020 findet die Andere Welt Bühne zu ihrem Theaterraum.

Die Drehbühne wird um einen zweigeschossigen Aufbau ergänzt. Die kunsthistorische Inspiration dazu liefert der Architekt und Bühnenbildner Friedrich Kiesler mit seiner 1929 entworfenen hölzernen Raumbühne. Matthias Merkle adaptiert Kieslers Raumbühne für unser Theater.

Vor allem Überlegungen zu einem ökologisch folgenlosen Theaterbetrieb in Bezug auf die Verwendung von Materialien für Dekorationen führten zu dem Holzbau, der seitdem in einzigartiger Weise die Auftritte auf der Bühne begleitet.

Nach der Wiedereröffnung der Kulturstätten (nach dem ersten Corona-Lockdown) feierte das Theater eine hochgelobte Stückentwicklung, die „räuber*innen“, mit fünfköpfigem Ensemble. Das jährliche Recherchestück befasste sich in Anlehnung an das Themenjahr Krieg und Frieden in Brandenburg mit dem Thema Erinnerung und der tradierten Erzählung von Familiengeschichte: „Unvergessen“ ist die bislang meistgespielte Inszenierung des Theaters und zugleich die erste Arbeit von Paul Spittler in Strausberg, der seitdem fester Bestandteil der Compagnie ist.

Zudem baute die Andere Welt Bühne eine Kinder­theatersparte auf. In Koo­pe­ration mit flunker.­produktionen finden seither regelmäßig Theater­veranstal­tungen für Kinder statt.

In den Jahren 2021 und 2022 gelang es der Anderen Welt Bühne mit ihren Produktionen zunehmend, sich einen herausragenden Ruf innerhalb Brandenburgs und über die Landesgrenzen hinaus zu erarbeiten.

Die Inszenierungen Unvergessen, Adam und die Deutschen, Die Mühle (UA), robosapiens, Die Physiker, Effi Briest ff.und ping pong stereophonie fanden überregional Anklang und erhielten Gastspieleinladungen innerhalb Deutschlands und nach Österreich.

Gleichzeitig ist es gelungen, die Aufmerksamkeit der Brandenburger Lehrerschaft zu erlangen, so dass zwischenzeitlich regelmäßig Aufführungen für Schüler*innen stattfinden. Das Theater ist inzwischen auch eine beliebte Adresse für Schülerpraktikant*innen.

Auch technisch erweiterte sich das Theater nicht unerheblich. Neben der kontinuierlichen Erweiterung der Bühnen-, Ton- und Lichttechnik, die eine immer professionellere Präsentation der Aufführungen ermöglicht, wurde in großem Umfang in das Gebäude investiert. So konnte dank einer Neustart.Kultur- Förderung eine pandemiegerechte Lüftungsanlage eingebaut werden, ebenso eine Zuschauertribüne, die zugleich Druckraum für die Quellüftung ist. Die ehemalige Bestuhlung aus den Kammerspielen des Deutschen Theaters komplettieren den Saal mittlerweile zu einem „richtigen“ Theater.

Zu guter Letzt erhielt die Halle eine Heizung, die mit Erdwärme nun seit Herbst 2021 endlich einen ganzjährigen Spielbetrieb ermöglicht. Die Kosten für diese Maßnahmen trägt dabei die Entwicklungsgesellschaft für das Alte Postgelände, die damit ihr Engagement für den Kulturstandort verstetigt und nachweist.

Ende 2021 war die Andere Welt Bühne gezwungen, gemeinsam mit den InitiatorInnen des Alten Postgeländes einen öffentlichen Kampf um den Erhalt des Kulturquartiers Altes Postgelände und des Theaters gegen die Stadtverwaltung Strausberg zu kämpfen. Dank der Unterstützung vieler Stadtverordneter, der Medien und eines breiten Engagements aus Kulturpolitik und der Bevölkerung konnte dieser Kampf gewonnen werden und die Zukunft des Theaters und des Kulturquartiers endgültig und für immer gesichert werden.

Im Zuge dieser Auseinandersetzung veröffentlichte die Andere Welt Bühne einen Brandbrief, der innerhalb kürzester Zeit eine beachtliche Unterzeichner*innenschaft aus namhaften Theatermacher*innen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und ebenso vielen Strausberger*innen erhielt. Diese Liste bezeugt beispielhaft gleichzeitig die Bedeutung des Kulturquartiers für die Strausberger Bevölkerung, wie seine Strahlkraft weit über die Landesgrenzen hinaus.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner