Die Andere Welt Bühne: ein Theaterbetrieb, welcher es sich zum Ziel gesetzt hat, ein kulturelles Zentrum und eine Compagnie, bestehend aus Künstler*innen aus sämtlichen Sparten der darstellenden Kunst, zu schaffen und somit einen Ort mit einem spartenübergreifenden, inhaltlich vielfältigen Ansatz und einem breiten Angebot an Kulturveranstaltungen zu etablieren.

Aufgabe ist es, den Kulturbetrieb im Allgemeinen und im Besonderen in einer offenen Diskussion, im Dialog denken und überdenken zu können, um daraus ein Theater – das Strausberger Theater – zu entwickeln und umzusetzen, und damit ein dauerhaftes kulturelles Angebot zu schaffen. In dem für das Theater zur Verfügung gestellten ehemaligen Wasserwerk, einer Halle von etwa 250 qm, wird eine Spielstätte für verschiedene Auffassungen, Kunstformen und Erzählweisen eingerichtet, die ein lebendiges Theater ausmachen.

Diese sollen zur Diskussion und zum Dialog anregen und sich in einem ständigen Prozess weiterentwickeln. In engem Verbund mit den in dem Kulturquartier Altes Postgelände ansässigen Werkstätten und Betrieben wird ein vielfältiges künstlerisches Angebot erst möglich und kulturelle Veranstaltungen einer breiten Öffentlichkeit geöffnet.

Über die Schaffung einer künstlerischen Spielstätte hinaus sehen wir die Aufgabe unseres Theaters auch in der Vermittlung kulturellen und gesellschaftlichen Austausches. Die Organisation und Ausführung von Workshops, Begegnungen und künstlerischer Vermittlung zum Beispiel in Form der Einbindung von Jugend- und Schüler*innengruppen liegt uns am Herzen.

Den roten Faden, der sich durch die künstlerische Arbeit zieht und diese zusammen hält bildet der Standort des Theaters. Das östlich von Berlin sich befindende Alte Postgelände, das ab Ende der 1970er Jahre als Fernmeldeknotenpunkt der DDR gedacht wurde, bildet mit diversen Funktionsgebäuden, Hallen, seinem unterirdischen Bunker, ein imposantes und zugleich historisch irrwitziges Gelände und wirft, daran gespiegelt, gesellschaftliche Fragestellungen auf, an denen die Andere Welt Bühne sowohl künstlerisch als auch betrieblich ihre Haltung entwickelt.

Ausgehend von dem Wasserwerk können alte Ruinen und Gebäude als eindrucksvolle Spielstätten genutzt werden. Sie verbinden sich mit einem großen, urigen Stück Wald, vormals als Distanzhalter zwischen Bunkeranlage und Bevölkerung verschlossen, der zum einen eine ideale Plattform für eigenwillige Freilichtinszenierungen und Installationen darstellt, vor allem aber in seiner Bedeutung als Freiraum der künstlerischen Entwicklung eine besondere Qualität und Freiheit verspricht.

Das Konzept des Theaters geht also eine kohärente Verbindung mit den räumlichen Vorraussetzungen ein. So entsteht ein lebendiger, vielfältiger Kulturort am Wald, der die Möglichkeit bietet für ein lebendiges, dialektisches Treiben, das sich zu einem Inkubator für ein besonderes Theater mit überregionalem Anspruch verbindet.

Das Markenzeichen der Anderen Welt Bühne ist ihr Bühnenraum.

„Der Regisseur Matthias Merkle hat, inspiriert von dem Bauhausarchitekten Friedrich Kiesler, eine so konstruktivistisch wie mittelalterlich anmutende Drehbühne gezimmert, durch die das Modell einer feudalen Krone ebenso schimmert wie das Brecht’sche Räderwerk eines großen Mechanismus, den man Staat nennen könnte. Das Multifunktionsgerüst dient seit Juni als Dauerbühne, über die bereits die ersten zwei Premieren liefen.

Die Schauspielerin und Co-Leiterin des Theaters Melanie Seeland erarbeitete sie zusammen mit einem kleinen Ensemble hoch motivierter, spielwütiger Kolleginnen und wechselnden Gastregisseuren. […] allein der Mut, im Brandenburger Outback zuerst nach Dringlichkeit zu suchen anstatt nach leichtem Konsum, ist ein echter Gewinn.“

Berliner Zeitung, Doris Meierhenrich

Mit der Spielzeit 2020 präsentiert die Andere Welt Bühne ihre vor Ort entstandene zweigeschossige Raumbühne als große Weiterentwicklung einer Drehbühne in der Industriehalle des ehemaligen Wasserwerks in Strausberg (Brandenburg).

Die neue, prägende Einrichtung verbindet kunsthistorische Inspiration und Recherche mit Überlegungen zu ökologisch achtsamer Nachhaltigkeit im Theaterbetrieb und originärer ästhetischer Wirkungsabsicht – dies alles vor Ort umgesetzt und also einzigartig im Sinne von: nicht universell und übertragbar.

Allein die Inspiration kommt nicht nur aus dem Wald: Friedrich Kieslers Entwürfe und Überlegungen aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer Raumbühne hatten wesentlichen Einfluss auf Aspekte von Architektur, Ästhetik und Wirkungsweise der Einrichtung.

Der österreichische Architekt und Bühnenbildner Friedrich Kiesler entwickelte ab den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts elektromechanische Bühnenbilder, spiralförmige Raumbühnen, modulare Ausstellungssysteme und gilt mit seinen Designkonzepten als einer der großen Visionäre der Moderne im Umfeld des Bauhauses.

Friedrich Kieslers Ziel war es, mit seiner Raumbühne der klassischen Guckkastenbühne, die ihm eine starre „Kiste mit einem Vorhang als Deckel“ war, einen „elastischen“ Raum entgegen zu stellen, um die Bildbühne im Raum aufzulösen. Aus der klassischen Addition von Wort, Mensch, Requisite, Licht und Kulisse sollte eine Integration dieser Bestandteile werden, die mit der Bewegung der Bühne und der Objekte und Subjekte multipliziert wird. In der damaligen Zeit ging es dabei vor allem darum, die Theatermittel zu erweitern und die Bühnenkunst in die Moderne zu transformieren.

Inspiriert von Kieslers Raumbühne hat Matthias Merkle eine eigenständige Umsetzung des Kiesler-Modells für das ehemalige Wasserwerk der Anderen Welt Bühne entwickelt.

Situiert inmitten des ehemaligen Strausberger Stadtwalds ist für das Team des 2017 gegründeten Theaters die Frage nach ökologisch sinnvoller, ressourcenschonender und nachhaltiger Betriebsamkeit schon immer eine natürliche.

Dem üblichen Materialaufwand des Theaterbetriebs wird mit der Raumbühne entschlossen begegnet: Bühnenbilder entstehen maßgeblich mit der Auswahl der Drehung, der Nutzung der Ebenen, der Fokussierung von Möglichkeiten; Ausstattung bleibt Thema weit jenseits von Materialschlacht und Müllberg.

Mobiliar, mehrfach verwendbare Stoffe, Scheinwerfer und Requisiten komplettieren Bühnenbilder in den jeweiligen Belangen der einzelnen Produktionen.

(und Ort)

Nicht weil sie Raum ist (das ist sie natürlich), sondern weil sie Raum schafft und sichtbar, erlebbar macht, nennen wir sie Raumbühne.

Das ehemalige Wasserwerk auf dem Alten Postgelände in Strausberg ist ein eigenartiger und schöner Ort, die leere Industriehalle eine großartige Kulisse für die darstellende Kunst.

Erst der Bühnenturm in seiner Höhe allerdings integriert die Halle in ihrer Kubatur, ihren baulichen Details und den Überbleibseln ihrer historischer Funktionalität tatsächlich in das Bild der Schauenden.

Weil sie sich dreht, hat sie eine Richtung.

Die Konzeption sortiert die Zuschauenden auf eine Seite der Bühne und damit die Blickrichtung als eine einzige, gebündelte, allerdings große, hohe.

Wir sitzen nicht beliebig da und dort, lassen nicht den Blick gedankenverloren an Wand und Decke wandern, sondern wir sehen, was uns gezeigt wird: alles. Im Zweifel dreht die Bühne das alles nochmal um für uns.

Die drehende Raumbühne ist selbst und allein Objekt, Skulptur, Architektur, Installation. Sie ist nicht Ausstattung, sondern Inszenierung des Raums.

Jenseits ihrer Funktionalität setzt die Bühne in ihrer ästhetischen Ausformulierung gestalterische Erfindungen eindrücklich um.

Matthias Merkle hat aus den Gegebenheiten des Geländes schöne Notwendigkeiten entwickelt. Seit 2013 erarbeitet er für das Alte Postgelände in Strausberg Konzepte und Umsetzungen, für die er im Bereich Waldpflege und Holzgestaltung vor allem Möbel, Einrichtungen und (innen-)architektonische sowie Bühnenbild-Lösungen designt, konstruiert und baut. Als vorläufigen Höhepunkt dieses Schaffens stellt Merkle jetzt seine drehende Raumbühne nach Motiven von Friedrich Kiesler vor.

All das fand und findet an einem Ort statt: Konzeption, Konstruktion, Umsetzung und Nutzung.

Das Holz für die Bühne, auch der Baum, aus dem die markanten, fragil-stabilen Stützen gebaut sind, stammt aus dem Wald, keine 400 Meter vom Theater entfernt.

Mit einem kleinen Team wurde vor Ort das Holz bearbeitet und die Bühne gebaut.

In die Halle eingepasst, zentimetergenau an den Gegebenheiten orientiert.

Diese Bühne steht, wo sie herkommt und hingehört.

Der Wald in der Halle, die Halle ein Theater, das Theater im Wald.

Dem lustvollen Wagemut der jungen Theatergründung gesellt sich der Eigensinn des Bühnenbaus bei. Der Stil des Hauses ist geprägt – möge das Kunstwerk sich vielfach erweisen!

Technische
Daten:

∅ unten: 600 cm

∅ oben: 650 cm

Höhe: 650 cm

Bühnenbreite über alles: 1200 cm

Bühnentiefe über alles: 1200 cm

Gewicht: ca. 2,5 t

Kiefernholz, Aluminium, Edelstahl

Für die kommenden Jahre sieht sich die Andere Welt Bühne nun an dem Punkt, ihr in den letzten Jahren erprobtes Engagement zu erweitern. Künstlerische Umsetzungen, die personelle Festigung der Compagnie als auch die stetig wachsenden Zuschauerzahlen und mediale Aufmerksamkeit erfordern den Sprung in einen ganzjährigen Spielbetrieb.

Die Entwicklungsgeschichte markiert eindrucksvoll die Bedeutung des Ortes für die Region und erzählt die wundersame und wahrscheinlich in diesen Zeiten anachronistische Geschichte der Neuentstehung eines echten Theaters in Strausberg, fast schon des „Stadttheater Strausberg“. Innovative Bühne und gleichzeitig kultureller Anlaufpunkt für unterschiedlichste Teile der Stadtbevölkerung.

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